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Donnerstag, 12. Mai 2022

Geht es der Welt besser mit unserem moralischen Imperialismus?


Mit Imperialismus verbinden wir in Europa häufig die Aussenpolitik der USA bis in die 1980er-Jahre mit ihren Interventionen und Einflussnahmen in Süd- und Mittelamerika. Es war ein nationalistisch geprägter Imperialismus, mit dem sich die USA auch wirtschaftliche Vorteile verschafften.

Die Interventionen im Irak, in Libyen und in Syrien verschafften den USA und den westeuropäischen Mächten eindeutig keine wirtschaftlichen Vorteile. Es ging um moralischen Imperialismus, denn man glaubte, man müsse die Diktatoren stürzen, die die Menschenrechte aufs gröbste verletzten. Man beabsichtigte, in diesen Ländern rechtsstaatliche Regierungen einzusetzen.

Es ist selbstverständlich, dass wir uns für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen. Aber ab wann sollen wir Länder, in denen die Menschenrechte verletzt werden, sanktionieren? Oder dürfen wir solche Länder mit Verachtung bestrafen? Helfen wir der betroffenen Bevölkerung damit?

Unser moralischer Imperialismus (oder diskreter ausgedrückt: der Einfluss des Westens) führte leider noch nicht dazu, dass:

  • keine Mädchen mehr beschnitten werden
  • viele Frauen in islamischen Ländern in ihren Häusern «eingesperrt» werden
  • alle 10 Sekunden ein Kind an Hunger stirbt
  • z.B. in El Salvador jedes Jahr 3300 Menschen ermordet werden
  • in autokratisch regierten Länder (z.B. Russland) Regimegegner ermordet werden
Bei der Invasion der Ukraine durch die russische Armee starben tausende russische Soldaten. Der Tod von einigen Regimegegnern erregt aber ein viel grösseres mediales Echo. Ist das gerechtfertigt?

Kaum Aufmerksamkeit erhält der westliche Kulturimperialismus. Fast auf der ganzen Welt werden Blue Jeans getragen, westliche Filme angeschaut und Pop-Musik gehört. Englisch wird fast unangefochten als Weltsprache akzeptiert und kann damit als Symbol für die «Vorherrschaft» der westlichen Kultur angesehen werden.     

Unsere westliche Kultur wird über die Medien auf der ganzen Welt verbreitet, was dazu führt, dass sogar Weihnachten immer mehr auch von Nichtchristen auf der ganzen Welt gefeiert wird. In Japan, China, Ägypten und der Türkei ist Weihnachten natürlich kein offizieller Feiertag und frei von religiöser Bedeutung, aber es gibt dickbäuchige Weihnachtsmänner, Plastiktannenbäume, Weihnachtslieder und eindrucksvolle Lichtspiele.

Unumstritten ist die Weihnachtsmode nicht. Aus islamistischen Kreisen kommt Kritik daran, dass muslimische Länder ein christliches Fest übernehmen und so vor dem westlichen Kulturimperialismus kapitulieren. Haben Sie schon einmal einen Christen gesehen, der das islamische Opferfest begeht? plakatierten Weihnachtsgegner in Istanbul 1). Ich glaub, es ist verständlich, dass sich viele Imame vom Eindringen der westlichen Kultur bedroht fühlen. Ist das auch eine Erklärung dafür, dass es zum 9/11-Terroranschlag kam? 

Kulturimperialismus ist hier aber wohl nicht der richtige Ausdruck, weil die westliche Kultur (alle Arten von Kunst und Lebensführung) von den anderen Ländern ohne jeden Druck und Zwang angenommen wird. Aber wir dürfen unsere Anschauungen - auch in Bezug auf die Menschenrechte - nicht mit Gewalt auf der ganzen Welt durchsetzen.

 1) Der Tagesspiegel, 18.12.2014


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